Manchmal sind unsere Emotionen so stark, dass wir ihnen schlicht ausgeliefert sind. Sie überrollen uns, reißen uns mit wie eine Welle im Meer. In solchen Momenten scheint es, als gäbe es keine Distanz zwischen uns und dem, was wir fühlen: Wir sind Wut, wir sind Angst, wir sind Neid. Aber ebenso: wir sind Freude, Liebe, Dankbarkeit.
Gefühle sind intensiv, lebendig und kostbar – aber sie können uns auch in Verstrickungen führen, wenn wir sie nicht bewusst betrachten. Ein großer Teil unseres inneren Wachstums beginnt genau hier: Gefühle annehmen, sie zulassen, spüren und erkennen.
Im Yoga, im Zen und in der Achtsamkeitspraxis ist das Annehmen der erste Schritt, um nicht länger Opfer der eigenen Emotionen zu sein, sondern freier mit ihnen umzugehen. Oder wie Thich Nhat Hanh es einmal formulierte:
„Gefühle kommen und gehen wie Wolken am Himmel. Bewusstes Atmen ist mein Anker.“
Gefühle sind mehr als gut oder schlecht
Wir haben gelernt, unsere Gefühle zu bewerten: Freude ist gut, Wut ist schlecht. Dankbarkeit ist willkommen, Trauer wollen wir möglichst vermeiden. Doch diese Einteilung in „gut“ und „schlecht“ ist Teil unseres Leidens. Gefühle sind zunächst weder das eine noch das andere – sie sind Energie in Bewegung, Hinweise aus unserem Inneren, die uns etwas zeigen wollen.
Anhaftung an positive Gefühle
Es klingt paradox, aber auch positive Gefühle können uns belasten. Wir wollen sie festhalten, verlängern, konservieren. Wir klammern uns an einen glücklichen Moment oder einen geliebten Menschen, und in diesem Festhalten entsteht Angst vor Verlust.
Zuneigung kann sich in Abhängigkeit verwandeln, Freude in Sehnsucht, Liebe in Besitzdenken. Wenn wir Gefühle nicht nur genießen, sondern auch festhalten, entstehen Leid und Enttäuschung.
Widerstand gegen negative Gefühle
Mit unangenehmen Gefühlen gehen wir anders um: Wir wollen sie wegschieben, unterdrücken, nicht spüren. Doch alles, was verdrängt wird, sucht sich früher oder später einen anderen Ausdruck – oft in Form von Stress, Verspannungen, Unruhe oder sogar Krankheit.
Wie schon der Zen-Lehrer Shunryu Suzuki sagte:
„Lassen Sie Ihre Gedanken und Gefühle kommen und gehen. Setzen Sie sich nicht in Bewegung. Lassen Sie sie einfach da sein.“
Das bedeutet: Gefühle annehmen heißt nicht, sie zu feiern oder zu rechtfertigen, sondern sie wahrzunehmen, ohne sie sofort zu verändern.
Was Loslassen wirklich bedeutet
Viele spirituelle Texte sprechen davon, Gefühle „loszulassen“. Doch Loslassen bedeutet nicht, dass wir unsere Gefühle abstoßen oder loswerden müssen. Es heißt vielmehr, ihnen nicht mehr verhaftet zu sein.
Als ich begann, mich mit Yoga-Philosophie zu beschäftigen, dachte ich, Loslassen hieße: nichts fühlen. Ich fragte mich: „Warum soll ich meine positiven Gefühle loslassen?“ Die negativen wollte ich nicht, das war klar. Aber die positiven – die wollte ich sein.
Mein Yogalehrer erklärte mir damals: Wenn wir an positiven Gefühlen festhalten, drücken wir damit unbewusst die negativen weg. Doch alles, was unterdrückt wird, kehrt zurück – stärker, schmerzhafter, mit größerem Widerstand.
Loslassen bedeutet daher: alles fühlen dürfen – ohne festzuhalten und ohne wegzuschieben.
Gefühle bewusst wahrnehmen – der Körper als Schlüssel
Gefühle sind nicht nur Gedanken. Sie zeigen sich im Körper: als Spannung, Wärme, Druck, Kribbeln, Enge. Der Körper lügt nicht – er erzählt uns ehrlich, was wir gerade fühlen, auch wenn wir es mit dem Kopf verdrängen wollen.
Wenn du deine Gefühle annehmen möchtest, beginne mit deinem Körper.
Übungen, um Emotionen zu spüren
Hier ein paar einfache Schritte, die dir helfen können, Gefühle im Körper zu erkennen:
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Hinsetzen und atmen: Schließe die Augen, richte dich auf. Spüre deinen Atem.
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Körper scannen: Wandere mit der Aufmerksamkeit langsam durch deinen Körper. Wo spürst du etwas? Enge im Brustkorb, Hitze im Kopf, Druck im Bauch?
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Gefühl benennen: Versuche, das Gefühl zu benennen – „Wut“, „Trauer“, „Freude“. Wenn das nicht geht, beschreibe es einfach körperlich: „Ein Drücken in der Brust“.
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Annehmen statt handeln: Bleib kurz bei dem Gefühl. Beobachte, ohne gleich etwas zu tun.
Allein dieser kleine Moment schafft einen inneren Raum. Du bist nicht mehr vollständig überwältigt von der Emotion, sondern kannst sie bewusst wahrnehmen, ohne dich in ihr zu verlieren. In diesem Raum beginnt Freiheit.
Schritt für Schritt Gefühle annehmen und loslassen
Der Weg ist ein Prozess. Gefühle annehmen heißt nicht, dass du sofort inneren Frieden hast. Es heißt, dich immer wieder neu einzulassen – mit Geduld, Mitgefühl und einer guten Portion Selbstfreundlichkeit.
Mit positiven Gefühlen umgehen
Wenn Freude oder Liebe da sind – genieße sie. Aber prüfe auch: Will ich festhalten? Entsteht Angst, dass dieser Moment vergeht? Spüre auch diese Angst, ohne sie zu verurteilen. So bleibt die Freude frei, anstatt in Abhängigkeit zu kippen.
Mit schwierigen Gefühlen umgehen
Negative Gefühle haben oft mehr Energie. Wut will sich entladen, Angst will uns in Sicherheit bringen, Trauer will uns zum Rückzug bewegen. Nimm diese Impulse wahr – ohne sofort zu handeln. Frag dich: „Was steckt darunter? Was will dieses Gefühl mir zeigen?“
Es ist eine Art innere Schulung: Gefühle annehmen, bevor sie dich steuern.
Emotionen und Selbstbild – wo unsere Muster herkommen
Viele unserer emotionalen Muster stammen aus der Kindheit. Wir haben gelernt, bestimmte Gefühle zu vermeiden oder besonders stark zu zeigen, um Zuwendung oder Sicherheit zu bekommen. Als Erwachsene laufen diese Programme oft unbewusst weiter.
Schon im Yoga, im Zen und in der Achtsamkeitspraxis wird seit Jahrhunderten geübt, Gefühle anzunehmen – nicht, um sie zu verstärken, sondern um sie nicht mehr zu fürchten. Auch die moderne Psychotherapie bestätigt diesen Weg: Wer lernt, Gefühle bewusst zuzulassen, erlebt weniger Stress und mehr innere Ruhe.
Oder wie es im Zen heißt:
„Wenn du aufhörst, dich gegen das zu wehren, was ist, hörst du auf zu leiden.“
Das bedeutet: Gefühle sind nicht unser Feind. Sie sind Wegweiser.
Achtsamkeit im Alltag üben
Es reicht nicht, einmal in der Meditation ein Gefühl wahrgenommen zu haben. Die eigentliche Kunst ist, Achtsamkeit im Alltag zu üben – mitten in Gesprächen, beim Arbeiten, beim Spazierengehen.
Kleine Übungen für zwischendurch
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Drei Atemzüge: Halte mitten im Alltag kurz inne. Atme dreimal bewusst. Spüre: Was ist gerade da?
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Gefühlstagebuch: Schreib dir abends drei Gefühle auf, die du heute hattest. Ohne Bewertung.
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Bewusste Reaktion: Wenn dich jemand triggert, spüre erst dein Gefühl – bevor du reagierst.
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Liebevolle Erinnerung: Leg dir die Hand auf dein Herz, wenn es stürmt. Das signalisiert deinem Körper: „Ich bin bei dir.“
So wird Annehmen nicht zu einer großen Aufgabe, sondern zu einer gelebten Alltagspraxis.
Loslassen als Weg zur inneren Freiheit
Wenn wir Gefühle annehmen, statt sie festzuhalten oder zu verdrängen, entsteht Raum. Raum für Freiheit, Klarheit, Leichtigkeit. Wir beginnen zu erkennen: Ich bin nicht meine Gefühle. Ich erlebe sie – aber sie definieren mich nicht.
Gefühle annehmen bedeutet nicht, passiv zu sein. Es bedeutet, nicht länger aus Reflex zu handeln, sondern frei zu entscheiden. Das ist innere Freiheit.
Wie der Zen-Meister Dōgen schrieb:
„Lass los und alles wird getan.“
Fazit und Einladung
Gefühle annehmen ist ein Weg. Kein schneller Trick, sondern eine lebenslange Praxis. Aber jeder kleine Schritt verändert etwas. Wenn du heute beginnst, deine Gefühle bewusst wahrzunehmen, schaffst du eine neue Grundlage – für dich selbst, für deine Beziehungen, für dein Leben.
Mit Mindful Grace in Leipzig habe ich einen Weg geschaffen für Menschen, die unter starker innerer Unruhe leiden. Ein Weg hin zu tiefer Annahme der Gefühle – nicht nur als Gedanke, sondern als verkörperte Praxis.
Es geht um das Erreichen einer tiefen inneren Ruhe, die spürbar wird, wenn wir aufhören, unsere Gefühle zu bekämpfen, und lernen, ihnen Raum zu geben. So entsteht Klarheit, Freiheit und ein neues Vertrauen ins Leben.
Wenn du spürst, dass auch du diesen Weg gehen möchtest, findest du bei Mindful Grace in Leipzig die Möglichkeit, diesen Schritt für dich zu wagen.
Gefühle sind keine Last – sie sind die Sprache deines Herzens.


